Band 1 - Die Quarzsucherin by LindeWeber | World Anvil Manuscripts | World Anvil

Montag, 5. Juli 1790

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Umhüllt von Dunkelheit strich Glandera mit ihren Fingerspitzen zärtlich über den Bergkristall. Ihre Haut kribbelte wohlig, sodass sie erschauderte. Fest pustete sie und eine Staubwolke stob von der Felswand. Für einen Moment verhüllte sie ihre Sicht, dann sah sie ihn im dämmrigen Schein glitzern. Ohne den Blick von ihrem Fund abzuwenden, legte sie Hammer und Meißel nieder. Blind tastete sie mit ihrer Hand den Boden entlang nach der Öllampe und hob sie hoch. Das flackernde Licht spiegelte sich auf den glatten Flächen. Gelb leuchtete das begehrte Gold, welches sich darauf kristallisiert hatte. Vom Reichtum der Natur vollkommen überwältigt, hielt sie den Atem an.
Der Lärm der Keilschläge ihrer Bergbaukumpel verblasste im Hintergrund, als sie magisch von dem Edelstein angezogen wurde. Ihre Gedanken wurden klar und sie kam zur Ruhe. Momente wie diese gaben ihr die Kraft, tief unter Tage in der Goldmine zu arbeiten. Sie seufzte, bevor sie die Lampe auf dem Boden abstellte. Mit dem Ärmel wischte sie sich den grauen Staub von den Lippen, bevor sie einen Schluck trank. „Nur noch wenige Wochen, dann wird hier nichts mehr zu finden sein.“ Wehmütig betrachtete sie das goldhaltige Mineral.
„Blödsinn!“
Instinktiv duckte sich Glandera, als sie die Stimme des Vorarbeiters hörte, doch sie schaute nicht über die Schulter. Er hatte die Angewohnheit, sich selbstgefällig mit den Fingern durch das fettige Haar zu fahren – selbst in dieser Dunkelheit war das kein schöner Anblick.
„Ich habe das Ergebnis unserer Bohrungen erhalten“, er lachte hämisch, „und ich konnte deine Aussage widerlegen.“
Glandera kniff die Augen zusammen und fluchte innerlich. Er glaubte ihr immer noch nicht. In den vergangenen Tagen hatte sie ihn wiederholt gewarnt, dass die Goldader bald versiegen würde. Doch sie konnte es nicht beweisen. Es war mehr ein Bauchgefühl, das immer stärker wurde, wie wenn man sich von einem engen Freund verabschieden muss. Auch ihre Kumpel waren auf diese Arbeit angewiesen.
Emsig machte sie sich wieder ans Werk und bearbeitete mit gezielten Schlägen das Gestein. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Vorarbeiter Zulkis zu einer Nische ging, in der eine einzelne Kerze brannte. Er fummelte an seiner verdreckten Hose herum und zog eine abgenutzte Taschenuhr hervor. Dabei wehte sein Geruch zu der Frau und raubte ihr kurzzeitig den Atem. Sie unterdrückte ein Würgen.
„Also“, er steckte seine Uhr wieder ein und lächelte schief, „komm doch nach der Arbeit bei mir vorbei und wir schauen, wie du dich sonst noch nützlich machen kannst.“
Ihr Körper versteifte sich und mit der Faust umschloss sie den Meißel fester. Glanderas braune Augen traten durch die dicke Staubschicht auf dem Gesicht noch mehr hervor. Sie zog die Brauen flehend zusammen, wobei sie den Kopf zum Vorarbeiter drehte. „Das geht nicht. Ich muss nach Hause. Meine Mutter muss zum Markt und … und Großmutter ist schwer krank.“
„Dann sehe ich dich morgen vor der Arbeit.“ Mit einem süffisanten Grinsen wandte er sich um und seine beleibte Gestalt verschwand schlurfend im düsteren Tunnel, ohne ihre Antwort abzuwarten.

Mit zusammengepresstem Mund hämmerte Glandera weiter. Ihre Hände begannen zu schwitzen und das Werkzeug rutschte immer wieder ab. Sie unterdrückte die heißen Tränen bei der Erinnerung an eine Zeit, als ihre Freundinnen noch in der Mine gearbeitet hatten. Zulkis bedrängte sie so lange, bis sie es nicht länger aushielten und kündigten. Bei dem Gedanken, dass ihr das gleiche Schicksal widerfahren könnte, wurde ihr flau im Magen. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in ihrer Brust breit und ihr Herz raste. Erneut legte sie das Werkzeug beiseite und erntete diesmal von ihren Kumpeln verständnislose Blicke. Sie wischte sich die Hände an dem zerschlissenen Rock ab und blickte an die Decke, wobei sie ein Stoßgebet gen Himmel schickte. Mitten in der Bewegung hielt sie inne und sah sich stirnrunzelnd um. Die Wände kamen auf sie zu und drohten, sie zu erdrücken. Sie musste hier raus! Zittrig griff sie nach ihrem Werkzeug und hastete los. Die Kerzen flackerten, als sie die verschlungenen Pfade entlangeilte. Sie wusste, wohin sie ihre blanken Füße trugen. Es wurde heller. Zu spät bemerkte sie, wie ein Schatten vor dem Ausgang erschien.

Ein dumpfer Schlag war zu hören, gefolgt von dem hohen Summen elektrischer Spannung. Blitze zuckten durch die aufwirbelnde Staubwolke. Glandera taumelte rückwärts, doch der Mann, mit dem sie zusammengestoßen war, blieb regungslos, wie ein Felsen, stehen.
„Aua … kannst du nicht aufpassen?“ Funken blitzen auf, während sie hart auf ihren Hintern fiel. 
Langsam trat der Hüne zurück und die Blitze ließen nach. Auf den Schulterstücken glitzerten in der hereinscheinenden Sonne goldene Stickereien mit den Insignien der Macht. Auf seiner Brust prangte der staubige Abdruck ihres Gesichtes. Sein seidenes Gewand war völlig verdreckt. Den prunkvollen Gürtel zierten die Symbole der Erde. Sie weitete ihre Augen und wurde blass, als ihr dämmerte, wer dort vor ihr stand: Der Erzmagus.
„Ver-verzeiht bitte“, stammelte sie und senkte den Blick.

◊ 

Wie Nadeln stach es an den Stellen, an denen die Blitze seinen Körper verlassen hatten. Der Verstand von Erzmagus Ferron raste, um das Geschehene einzuordnen. Vor ihm klaubte die Minenarbeiterin flink das Werkzeug auf und eilte davon. Seine Augen wechselten die Farbe, während er den silbernen Handschuh von der Rechten riss und die Finger an die Felswand legte. Ohne Mühe drang zeitgleich sein Geist in ihre Gedankenwelt ein. Er las panische Angst. 
„Wer war das?“ Erhobenen Hauptes blickte der Magier auf den Vorarbeiter hinab. Seine Erdmagie folgte den eiligen Schritten durch die Stadt bis in die Webergasse. Anhand der Vibrationen schätzte er ihr Gewicht auf 54 Kilogramm.
Zulkis richtete sich auf. „Das war Glandera Berger, hochgelehrter Magister.“
Erzmagus Ferron fuhr sich mit den Fingern durch seine kurzen, dunklen Haare, bevor er die Handschuhe wieder anzog. „Ich wünsche, dass Sie mir sämtliche Informationen über diese Frau zukommen lassen. Ich will alles über sie erfahren!“
Demütig verbeugte sich Zulkis mehrmals. „Sehr wohl, hochgelehrter Magister, wie Ihr wünscht. Wenn ich Euch dann hineinbitten darf?“ Mit einer weitläufigen Armbewegung lud er den Erzmagier ein, vorauszugehen.

Ihre Lunge brannte. Glandera warf die Haustür hinter sich zu und lehnte sich keuchend dagegen. Am liebsten hätte sie die Erinnerungen mit ausgesperrt. In absehbarer Zeit würde sie ihre Arbeit verlieren: Entweder weil die Goldader versiegte, oder weil sie sich diesem schleimigen Milchgesicht von einem Vorarbeiter nicht hingeben würde. Zweifellos jedoch, weil sie einen Magier des höchsten Ranges ungefragt berührt hatte! Heiße Tränen stiegen in ihre Augen und sie verbarg das Gesicht hinter der Armbeuge. Ein paar Mal atmete sie tief ein und aus. Die Stellen, an denen sie mit dem Erzmagier zusammengestoßen war, prickelten wie tausend Ameisen.

Ihre Mutter lugte aus der Küche und hob die Augenbrauen. „Liebes? Geht es dir gut?“
Glandera senkte den Arm und zwang sich zu einem Lächeln. „Alles in Ordnung!“ Sie zog das Kopftuch ab und fuhr sich durch ihre dunkelbraunen Locken. Das Geld war jetzt schon knapp und sie hatte ihrer Mutter nichts von den Sorgen erzählt. Hilde bemühte sich, die Familie sattzubekommen. Ihr Bruder Arno benötigte bald das Lehrgeld für den Schmied. Sie durfte keinesfalls die Arbeit verlieren, denn die Verkäufe ihrer Mutter reichten bei Weitem nicht aus.
„Ich gehe dann mal los.“ Hilde klopfte sich das Mehl von der Schürze, zog diese aus und hängte sie an den Haken.
Erst jetzt roch Glandera den leckeren Duft und ihr Magen knurrte. „Machst du Kartoffelbrot?“
„Ja.“ Liebevoll schaute Hilde ihre Tochter an, die nun nicht mehr zitterte. Sie hängte sich den Griff des Weidekorbs voller gesponnener Wolle auf den Arm und ging zur Tür. „Es geht Großmutter heute besser. Geh zu ihr.“

Glandera sah Hilde nach, bis sie das Haus verließ. Schnell machte sie sich frisch, lief barfuß die Treppenstufen hoch und klopfte. Als sie die Tür öffnete, sahen ihr wache graue Augen entgegen.
„Liebes, schön dich zu sehen.“ Das sagte Gladis immer, wenn sie eintrat. Da Glandera noch nicht verheiratet war, wohnte sie bei der Familie. Jeden Tag erlebte sie mit, wie die Erinnerungen ihrer Großmutter schwanden, gleich einem Vorhang, der sich weiter zuzog. Sie war dankbar, denn heute war dieser Schleier dünn.
Glandera schob den Stuhl näher. „Großmutter, es freut mich so, dass es dir gut geht. Bitte, erzähle mir von früher, bis das Brot fertig ist.“ Liebevoll küsste sie deren schneeweißes Haar und nahm den vertrauten Geruch nach Wald und Wiesen wahr.
Einige Zeit starrte die alte Frau an die Wand und hielt dabei ihren Kettenanhänger. „Die Reiter streifen wieder durch die Wälder. Lauf, mein Mädchen, wenn du das Wappen der Magierakademie siehst. Versteck dich in den Höhlen, damit sie dich nicht finden.“
„Aber Großmutter“, sie versuchte tapfer zu sein. „Ich bin schon eine erwachsene Frau. Ich brauche mich nicht mehr zu verstecken.“
„Ach, sie haben sie mitgenommen, die armen Kinder. Die Magier nutzen sie für ihre dunklen Zauber.“
Die Hände der jungen Frau wurden kalt.
„Glandera, Liebes, du musst auf deinen kleinen Bruder achtgeben.“
„Auch Arno ist schon groß. Wir leben jetzt in der Stadt, weißt du nicht mehr?“
Tränen sammelten sich und liefen die runzelige Haut hinunter. „Ach Alice …“
Es schnürte Glandera den Hals zu. Sie schluckte schwer, denn sie wusste, ihre Worte konnten den Verstand von Gladis nicht erreichen. Sie reichte ihr ein Taschentuch und streichelte sanft die ledrige Haut, um sie zu trösten.

Das blauviolette Licht des Portals verblasste hinter ihm. Erzmagus Ferron stand inmitten seines Arbeitszimmers in der Magierakademie, kniff seine Nasenwurzel und schloss die Lider. Die Mine wurde häufig von ihm besucht. Für sein Vorhaben war der stetige Nachschub nach Gold unabdingbar. Auch heute hatte ihm der Vorarbeiter eine lange, dichte Ader gezeigt und versichert, dass sie noch mehrere Monate fördern könnten. Doch diesmal war er abgelenkt gewesen.

Die steinernen Platten seines großen Arbeitszimmers waren durch die vielen Jahrzehnte bereits blank poliert und spiegelten die hereinscheinende Sonne. Unruhig lief er auf und ab, vorbei an den Vitrinen mit verschiedensten Metallen, während er die Begegnung resümierte. Die Stelle, an der Glandera Berger ihn berührt hatte, kribbelte noch lange nach dem Zusammenstoß. Solch ein Effekt war ihm fremd. Die Elementarkräfte wirkten stark zwischen Magiern. Er kannte Hitze oder Kälte, Verwirbelungen bei den Luftmagiern. Aber Funken und Blitze?

Wie angewurzelt blieb er stehen und wandte seinen Blick in den Garten. Er wollte nicht warten, bis der Vorarbeiter seinen Bericht abgab, er brauchte schneller Informationen. Doch am Dienstag fand das Treffen der Magier statt und da er der einzige Erdmagier auf der Erde war, musste er anwesend sein. In seinen Gedanken versunken schritt er zur Terrassentür, um in den gepflegten Garten zu blicken. Wenn sich sein Verdacht bestätigte, wäre Glandera eine Sensation. Deshalb musste er jemanden damit beauftragen, der verschwiegen war. Doch derjenige durfte sich auch nicht zu schade dafür sein, unauffällig ein paar Tage in der Mine zu arbeiten, und damit schieden die meisten Magier aus.
Als Mann seines Vertrauens kam ihm Arminio Cavallaro in den Sinn und dessen einzigartiges magisches Talent würde ihm einen Vorteil verschaffen. Da er der Sohn seines besten Freundes war, kannte er ihn außerdem seit seiner Geburt. Er war die richtige Person, um für ihn Nachforschungen zu betreiben.

Der Erzmagier atmete tief durch. Erst als er sich auf sein Anliegen fokussiert hatte, sprach er ihn telepathisch an. „Arminio? Hier ist Ferron. Darf ich dich kurz um deine Aufmerksamkeit bitten?“
Weit entfernt in Rom blickte der Feuermagier von seinen Akten auf und antwortete zugleich: „Per favore, Ferron, ich höre.“
„Ich benötige detaillierte Informationen über eine Minenarbeiterin und würde dir gern einen privaten Auftrag geben, um sie zu beschatten. Natürlich nur, wenn die Gendarmerie deine Dienste zurzeit nicht benötigt.“
Arminio hob die Augenbrauen und lehnte sich im Stuhl zurück. „Das geht in Ordnung. Die Büroarbeit kann warten. Worum geht es?“
„Ihr Name ist Glandera Berger. Mich interessiert ihr Alltag und mit wem sie sich umgibt.“
Ein breites Grinsen erschien auf dem Gesicht des Capitano. Tieferes Interesse an einer Frau hatte Ferron lange nicht gezeigt. „Möchtest du, dass ich sie nur beobachte oder dass ich auch ihre Gedanken lese?“
Der Erdmagier hielt kurz inne. Er wollte dem Capitano noch nichts von seiner Vermutung mitteilen. Als Incantatrix folgte sie keinem Kodex, weshalb dieses Vorgehen nicht verboten war. „Ja, auch ihre Gedanken.“
„Prego. Wann benötigst du die Informationen?“
„Baldmöglichst. Kannst du mir am Mittwochnachmittag zur dritten Stunde einen Bericht in meinem Arbeitszimmer geben?“
„Naturalmente. Hast du eine Erinnerung für mich, damit ich sie schneller finde?“
Ferron schloss die Lider und öffnete seinen Geist. Große braune Augen blickten aus dem zierlichen Gesicht zu ihm hinauf. Die Brauen kräuselten sich vor Empörung. Dann zeigte er eine zweite Erinnerung, wie er den Vibrationen ihrer Tritte, die sich wie zerplatzende Seifenblasen anfühlten, durch die verwinkelten Gassen bis zu einer Haustür folgte.
„Grazie, damit kann ich arbeiten. Ich werde mich sofort auf den Weg machen.“
„Vielen Dank, Arminio.“
„Nicht dafür, Onkel Ferron, du gehörst zur Familie. Wir sehen uns in zwei Tagen.“

„Die Quarzsucherin“ ist bei BoD unter der ISBN 9783757807108 erschienen und im Buchhandel als Taschenbuch und E-Book erhältlich.

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