Band 1 - Die Quarzsucherin by LindeWeber | World Anvil Manuscripts | World Anvil

Freitag, 9. Juli 1790

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Mit zusammengebissenen Lippen bearbeitete Glandera den Felsen. Die Arbeit fiel ihr heute leichter, denn sie hatte zwei Scheiben Brot gefrühstückt und sogar Mittagessen von Zuhause mitgenommen. Doch sie konnte sich keinen Reim daraus machen, wieso sie dieses Präsent erhalten hatte.

„Glandera? Du sollst zum Vorarbeiter kommen.“ Ein Bergarbeiterkumpel tippte ihr auf den Rücken und zeigte in Richtung Ausgang.
Freitag war Zahltag und so packte Glandera das Werkzeug in ihre Umhängetasche, streckte ihren Rücken und machte sich auf den Weg. Eine Staubwolke stob auf, als sie auf ihre Kleidung klopfte und diese vom groben Dreck befreite. Sie stellte sich hinter ihren Kollegen an und als sie an der Reihe war, ergriff sie die Münzen. Blitzschnell packte der Vorarbeiter ihre Hand und hielt sie fest. „Wer weiß, vielleicht ersetze ich dich schon bald mit einem anderen Arbeiter.“
Trotzig entzog sie ihm ihre Hand, um zum Stollen zurückzukehren und zählte nach. Überrascht hob sie die Augenbrauen. Sie hatte das volle Gehalt erhalten, obwohl sie nicht jeden Tag anwesend gewesen war. Ein Kribbeln im Nacken ließ sie zittern. Dann drehte sie sich langsam um.

Abseits der Mine stand Erzmagus Ferron und blickte zu ihr. Seine Hände waren hinter seinem Rücken verschränkt. Erhaben wachte er über diesen Platz.
Glandera steckte die Münzen ein. Ein paar Schritte setzte sie ihren Weg fort, doch sie wusste, dass er ihretwegen hier war. Sie blieb stehen und rang mit sich selbst. Gefolgt von dem Blick des Vorarbeiters ging Glandera zum Erzmagus. „Seid gegrüßt, hochgelehrter Magister.“
„Frau Berger.“ Er neigte freundlich den Kopf. Graue Augen blickten sie erwartungsvoll an.
„Habt Dank für das Brot und die Lebensmittel. Gott segne Euch.“ Er war viel größer als sie. Statt ihn anzuschauen, schob sie mit dem Fuß ein paar Steine über den Platz.
„Es freut mich, wenn ich Ihnen eine Freude bereiten und Ihre Sorgen mindern konnte.“
Überrascht hob sie den Kopf. „Woher wisst Ihr …?“
„Der Winter war hart und der Sommer ist zu heiß. Überall sind die Preise für Lebensmittel gestiegen, junge Frau“, er blickte sie sanft an, „und viele Familien leiden seitdem Not.“
„Ihr müsst das nicht tun.“
„Es ist mein Wunsch.“ Sein Tonfall verriet, dass er keinen Widerspruch duldete.
Sie presste die Lippen zusammen, während sie nickte und blickte unschlüssig über den Platz. „Bitte, nennt mich Glandera, wie jeder hier. Sonst fühle ich mich alt.“
Er lächelte. „Vielen Dank, das mache ich sehr gern. Glandera, würdest du ein Stück mit mir spazieren gehen?“
Sie erstarrte. Dann schüttelte sie den Kopf und wich ein paar Schritte zurück.
Ferron bemerkte die feinen Vibrationen, als ihr Puls raste. Seine Stimme wurde sanfter. „Wir sind auf einem freien Platz und man sieht dich, während wir ein paar Schritte gehen. Wovor hast du Angst?“
Vor ihrem inneren Auge rasten Bilder an ihr vorüber. Sie nahm ihren Bruder an die Hand und rannte mit ihm durch das Unterholz, bis sie eine Höhle erreichten. Dort hielt sie ihm den Mund zu, während die Reiter der Magierakademie vorbeieilten. Fast zerriss die Erinnerung Ferrons Herz.
„Meine Mutter hat mir verboten, mit Fremden mitzugehen.“ Sie wich weiter zurück und neigte dabei ihr Haupt. „Hochgelehrter Magister.“
„Erlaube mir, dass wir uns kennenlernen, damit wir nicht mehr fremd füreinander sind.“ Zögerlich trat er einen Schritt auf sie zu. „Magier sind auch nur Menschen.“
„Tut mir leid, ich muss zur Arbeit.“ Damit drehte sie sich um und eilte zurück in die Goldmine.

Als Glandera am späten Nachmittag heimkehrte, war bereits der nächste Korb mit Lebensmitteln sowie ein frisches Brot geliefert worden. Mit dem Apfel zwischen den Zähnen wühlte ihr Bruder nach weiteren Leckerbissen. Als er sie sah, biss er ab und kaute kurz. Er sprach mit vollem Mund. „Da ist eine Schachtel drin, auf der dein Name steht.“ Dann nahm er den rot glänzenden Apfel wieder in den Mund.
Ihre Mutter kam mit einem vollen Wassereimer zur Haustür herein und Glandera ließ die Schachtel in ihrer Tasche verschwinden, bevor diese es bemerkte. „Ah, Liebes, du bist schon Zuhause.“
„Ja, hier ist der Wochenlohn.“ Sie legte ihn auf den Tisch und nahm ihr den schweren Eimer ab. „Danke Mutter, ich komme gleich wieder und helfe dir.“

Der Inhalt der Schachtel klapperte leicht, während Glandera die Treppen hinaufstieg. Sobald sie den Eimer in ihrem Zimmer abgestellt hatte, öffnete sie den Deckel. Ein klarer Bergkristall lag darin, etwa so groß wie ihr Zeigefinger. Vorsichtig nahm sie ihn heraus und das bekannte wohlige Kribbeln breitete sich von ihren Fingern auf die ganze Hand aus. Fasziniert drehte sie ihn und ging langsam zum Fenster. Das Licht brach sich sogleich darin, und zauberte einen Regenbogen an ihre kahle Wand. Sie quiekte vor Freude, als sie dieses Naturspektakel wiederholte und die bunten Farben durch das Zimmer wandern ließ.
Sie wusste, dass er ein Geschenk des Erzmagus war, und versteckte ihn sorgsam unter dem Bett.

Der Bericht von Vorarbeiter Zulkis wurde Erzmagier Ferron am Nachmittag von der Wache in sein Arbeitszimmer gebracht. Er tobte innerlich über die Dreistigkeit, ihn so lange warten zu lassen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen öffnete er den Brief und überflog den Inhalt.

Glandera arbeitete seit drei Jahren in der Mine. Der Vorarbeiter schilderte sie als zuverlässige, fleißige Mitarbeiterin, die ihrer Arbeit pflichtbewusst nachging.
Dem Erzmagus war klar, dass es für eine solch zierliche Frau nicht möglich war, die gleichen körperlichen Leistungen wie ein Mann zu erbringen. Doch seine Herkunft hatte ihn geprägt und es war wichtig, in diesen harten Zeiten auch Frauen angemessen bezahlte Arbeitsplätze zu geben. Es war ein Privileg der Magier, sich nicht an alle gesellschaftlichen Konventionen zu halten, doch auch dies sollte nicht zu weit ausgereizt werden.
Beim nächsten Absatz hob er die Augenbrauen: Instinktiv wusste sie dem Lauf der Quarzader zu folgen. So hatte sie von den Bergarbeitern den Kosenamen Quarzsucherin erhalten.
Ferron erinnerte sich: Vor einigen Monaten war sein Vorarbeiter in Erklärungsnot geraten, als er in der Woche nicht die übliche Menge zutage gebracht hatte. Ein paar Tage später erklärte er, er hätte versehentlich die Nebenader erwischt und würde nun wieder der Hauptader folgen. Seitdem blieben die Fördermengen konstant. Der Erzmagus war sich sicher, dass dies Glanderas Verdienst war.

Ferron stand auf und schritt zu seinen Exponaten. Verschiedenste Metalle aus aller Welt standen in seinen Vitrinen. Die Erinnerungen an ihre Prospektionen erwärmten sein Herz, da das Talent des Erzmagus im Aufspüren von magnetischen Metallen lag. Er musste sich auf die Arbeit des Vorarbeiters verlassen, denn er wusste nicht, wo das begehrte Gold im Felsen zu finden war. Sein Mund formte sich zu einem Lächeln. Glandera konnte hierfür die Lösung sein, nach der er so lange gesucht hatte.

„Die Quarzsucherin“ ist bei BoD unter der ISBN 9783757807108 erschienen und im Buchhandel als Taschenbuch und E-Book erhältlich.

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